Alljährlich am Maifeiertag, und das seit einem halben Jahrhundert, zieht es die reitenden Georgspilger zum Kirchort der Pfarre St Georg in Kallmuth, um dort am St. Georgsritt teilzunehmen, begleitet, beobachtet und bestaunt von den vielen Besuchern, die ohne Pferd in den Eifelort strömen. Es ist ein Fest für alle Sinne, wenn sich das Getrappel, Schnauben und Wiehern der Pferde mit festlicher Blasmusik vermengen und eine lange Prozession mit Reitern im klassischen Dress oder farbig-froher Freizeitkleidung in der maigrünen Landschaft zum Georgspütz bei Vollem zieht. Ihre Zahl können regnerisches Wetter und Kühle, die in manchen Jahren ohne Pardon für die Wünsche der Organisatoren am Tag des Georgfestes über die Eifel ziehen und Kallmuth nicht aussparen, allenfalls reduzieren.
Der beständige Zuspruch über 5 Jahrzehnte hinweg, gelegentliches Auf und Ab mit eingerechnet, veranlasst die Heutigen, nach der Stärke der Idee zu suchen und nach den Wurzeln, die den früheren Pfarrer Eugen Kranz und die „Männer der ersten Stunde“ von damals - nur wenige davon leben noch – dazu brachte, eine im Eifelbereich völlig ungewöhnliche Prozession ins Leben zu rufen. Intensive Rückbesinnung auf den religiösen Kern und auf die Basis tut Not, für die Prozessionsgäste und - besonders wichtig – auch für die Pfarrgemeinde und ihre verantwortlichen Leiter und Mitarbeiter. Sie haben die Sorge zu tragen, dass der Geist der Gründer deutlich bleibt und die Spur des St. Georg nicht im organisierten Nebensächlichen verloren geht.
St. Georg, Patron der Ritter, Soldaten und Pferdebauern
Das Grundgefüge der Kallmuther Reiterprozession basiert auf teilweise weit zurück reichenden historischen Fundamenten.
Im Zentrum der Verehrung steht Georgius, ein Soldat aus Kappadozien (heute Türkei) im Dienste des römischen Kaisers Diokletian und zwar im nahen Umfeld des Imperators. »Wegen seiner Herkunft aus dem Adel und weil er nicht nur durch sein ansehnliches Äußeres und seine Körperkraft in hohem Ansehen stand, sondern auch wie kein anderer für den Waffendienst geeignet war, wurde er zum Legionsbefehlshaber berufen«[1]. Im Jahre 303 erlitt Georg den Märtyrertod, nachdem er als Christ enttarnt worden war und seinem Glauben nicht abschwören wollte. Nach einer Vielzahl ausgesuchter Folterungen, die er immer wieder wundersam überstanden habe, sei er enthauptet worden, und zwar am 23. April.
Eher volkstümlich begegnet uns die Heiligengestalt als Schutzpatron der Pferdebauern und der Pferde, wohl abgeleitet vom griechischen Wort γεωργός für Bauer. Seit dem 13. Jh. wird er einer Legende nach als Drachentöter verehrt, der den Kampf gegen das Böse siegreich besteht. Seit dem 15 Jh. zählt er zu den 14 Nothelfern.
Auf der Suche nach St. Georg im frühen Callmuth
Den Tugenden dieses Glaubenszeugen und dem Vorbild des ritterlichen und tapferen Helden galt es nach zu eifern und um Fürsprache und Segen zu bitten. Nahe liegend war, dass sich seit früher Zeit Ritter und Adelige des Schutzes eines so kraftvollen Patrons wie des heiligen Georg versicherten, so auch die in Kallmuth. Denn »Ein Rittersitz ist in Kallmuth bereits im 13. Jahrhundert anzunehmen, da bereits 1285 der erste Ritter von Kallmuth urkundlich fassbar wird…«[2]. Dem Heiligen weihten viele die Kapellen ihrer Burgen und Adelssitze. In der Nordeifel sind das noch drei weitere Orte, nämlich Blankenheim, wo in der silbernen Büste ein Kopfreliquiar aufbewahrt wird, Blens und Dreiborn.
Was die Burgkapelle in Kallmuth anbelangt, - Standort vermutlich an der Stelle des heutigen Kirchturmes - so weist der Kirchenbuch-Eintrag um 1667 auf das mögliche Erbauungsjahr der Kapelle hin. »Vor der Kirchthür nahst bey glockenthurm ist ein iahrzahl eingehauhen ∙ 1243 ∙ ob damals die Capell erstlich erbauhet worden ist […].«[3]
Entdeckt wurde die Jahreszahl bei den Wiederaufbauarbeiten, nachdem während dem Dreißigjährigen Krieg am Pfingstabend 1644 eine brandschatzende Soldateska das Dorf Kallmuth geplündert und wegen erbittertem Widerstand die Kirche, die beiden Burgteile derer von Pützfeld (Friemersdorf) und von Gymnich und drei Häuser in der Nachbarschaft niedergebrannt hatte[4] .
So schrecklich diese Ereignisse für die damaligen Bewohner Kallmuths auch waren, für uns Nachgeborene ergeben sich daraus belegbare Erkenntnisse über die pfarrliche und kirchliche Situation. Denn ab 24. April 1665 wurde das hier als „Chronik St. Georg Kallmuth“ bezeichnete Buch geführt, beginnend auf Seite 9 mit einer Erklärung, unterschrieben von »Christianus Heidt, Pastor in Weyer, Paulus Fassbender, Wilem Grau«, aber auch von »Maria Agatha von Steinen Wittib von Peutzfelt«, eine Angehörige der Burgbesitzerfamilie Pützfelt.
Das Vorhandensein dieses Buches lässt den Schluß zu, dass spätestens seit dieser Zeit die zu den Burgbauten gehörende Georgskapelle, oder was nach dem Brand 1644 von ihr übrig geblieben war, nun eindeutig dem Dorf und seinen Bewohnern für religiöse Feiern und Gottesdienste überlassen wurde, wobei das Dorf spätestens seither als kirchliche Filiale von Weyer zu betrachten ist [5] . Deutlicher belegen die im Buch detailliert aufgeführten Wiederaufbaukosten der St. Georgs-Kapelle die veränderten Verhältnisse und auch die Leistungen, die weitgehend von den Bewohnern aufgebracht wurden[6] . Über knapp zwei Jahrzehnte (ab 1647)zog sich dieses Vorhaben hin. »Daherro der Kirchenbau langsam hergangen aus ermanglung der mitteln«, notiert der Pfarrer in den »Annales der Capellen St. Georgy zu Callmuth«[7] .
St. Georg und seine Prozession
Es ist wohl schon außergewöhnlich, dass während dieser Wirren neben den dargestellten organisatorischen und finanziellen Einzelheiten auch pastorale Vorgänge wie ein roter Faden die Aufzeichnungen des Pfarrer Heidt durchziehen.
Darunter nämlich entdeckt der Chronist den »Nota Bene«-Eintrag[8] über die Georgsprozession 1666, der den Freunden des St. Georgsrittes wohl geläufig ist:
»NB: hiebey woll zu verstehen, das die iährliche procession mit wollherbrachter Feyher des gantzen Kirchspiel, wie auch das junge und alte nachparre[9] zu Callmuth mit dem Creutz sollen entgegen komen bey dem Busch Leichtert, soll vor, wie nach gehalten, wan nit durch Kirchen ordnung das Fest und procession St. Georgij versetzt werde.
Daherro Anno 1666 die procession solemniter[10] gehalten worden, ohne mitnehmung des hochsten gutt in der monstrans.
Hiesiges memoriale notirt Zur nachrichtung, auch damit die procession nit in undergang komme.«
Das also ist der Kern der historischen Belege, von dem aus 1953 Pfarrer Eugen Kranz und seine Mitstreiter die Georgsprozession der neuen Zeitrechnung einführten: eine Reiterprozession - am 23. April, dem Namensfest des Heiligen (Termin wurde zweckmäßigerweise auf den 1. Mai verlegt) - heilige Messe - Ziel ein Wiesenplatz am Fuße des Berges „Lichtert“ im Tal zwischen Kallmuth und Vollem („Am Georgspütz“) - Rückkehr nach Kallmuth in einer sakramentalen Prozession. Neu war die Idee, die Prozession als Reiterprozession zu gestalten[11] .
Den Nota-Bene-Eintrag verdanken wir allerdings nur dem Umstand, dass im Jahr zuvor Anno1665 die Erzbischöflichen Visitatoren aus Köln die etwas ins Kraut geschossene Prozessionspraxis untersagten, vor allem die häufige Mitnahme des »hochwürdig Sakrament in der monstrans [und die] vielfältig aussetzung und unzulesige oftere benedition [=Segnung mit der Monstranz] über das Volck […,] welches wie jetzt gemelt∙ war ein missbrauch, und irreverents [=Unehrbietigkeit] zu halten und keine andacht«.[12]
Innerhalb dieses Kontextes kann die Chronikformulierung im Satz »Daherro Anno 1666…» erst richtig eingeordnet werden und lässt darüber hinaus den Schluß zu, dass die Prozession zum „Busch Leichtert“ bereits vor 1666 feste Tradition war, allerdings bis dahin wohl bei Mitnahme »des hochsten gutt in der monstrans«. Auch die Formulierung »soll vor wie nach gehalten werden« belegt diese Behauptung.
Weitere Eintragungen unterstreichen den Hochfestcharakter des Georgstages: »In Vigilia St. Georgij ∙ vesper [feierlicherAbendgottesdienst] ...Auf festag St. Georgij Solemnis processio hohe singende meß und predig«[13] Sie dokumentieren aber auch seelsorgerische Enttäuschungen des Pfarrers: »Zu St. Georgij abent ist vorhin vesper gehalten worden durch pfahrherrn und Cüster ∙ Zu weniger in der Capellen weilen ∙ Dabei wenig andacht, die Inwohner Zu Callmuth wohnhaft geringer an Zahl…«[14]
Bemerkenswert ist außerdem, dass die Aufstellungen der jährlichen Kirchenrechnungen fast ausnahmslos auf den 23. April des jeweiligen Jahres datiert sind, ein markantes Datum also im dörflichen Jahresablauf, woraus man durchaus auf eine herausragende Bedeutung des Festes schließen darf.
Auf der Suche nach St. Georg im frühen Kallmuth darf auch der Eintrag im »Inventarium Kirchenornat Anno 1665, 7 May«[15] nicht unerwähnt bleiben. Aufgeführt unter dem Register »holtz«:
[6] »St. Georgy biltniß auf ein pferd«. sowie:
[4] »Ein Mariae vesper bilt welches alle Zeit andechtig verehrt worden«
Beide Heiligen, Georg, Glaubensheld und Blutzeuge, Schutzpatron der Ritter und Pferdebauern, und Maria als Schmerzensmutter spielen im religiösen Leben der Menschen in Kallmuth und in der regionalkirchlichen Geschichte über die Jahrhunderte hinweg eine prägende Rolle, der wir weiter unten im Zusammenhang mit der Einführung des St. Georgsrittes noch einmal begegnen.
Wann und warum die Tradition der Georgsprozession abgebrochen ist, darüber gibt es bisher keine Erkenntnisse. Vage mündliche Überlieferungen berichten davon, dass die Prozession am Lichtertbusch einen volksfestähnlichen Ausklang gehabt habe, sogar Buden und Zelte seien dort aufgestellt gewesen.
Hochkonjunktur für »Maria Schmerzensmutter«
Parallel zur Verehrung des hl. Georg entwickelte sich in Kallmuth die Verehrung der hl. Maria als „Schmerzhafte Mutter“ und minderte nach und nach die Bedeutung des Pfarrpatrons.
Das »Maria Vesperbild, welches alle Zeit andächtig verehrt worden ist« - eine figürliche Pietadarstellung wahrscheinlich um 1475 - war seit Jahrhunderten das Wallfahrtsziel der Menschen, die sich in ihren Sorgen vertrauensvoll an die „Schmerzensmutter“ wandten. |
Hubert Roggendorf zitiert aus einem alten Pfarrbuch (1664) über Gnadenbild und Marienverehrung: »Maria Vesperbilt, welches von undenklichen Zeiten allhie gewesen und andächtig verehrt von vielen Menschen, so in trübsal oder Krankheit gewesen, daran ihr gebett verricht…«[16] .– Das macht auch die permanente Verehrung bis in unsere Tage verständlich[17] .
1923 bezeichnete Pfarrer Harff den Schmerzensfreitag als wichtigsten Wallfahrtstag, sogar als Hauptfest der Pfarre, die Pfarrkirche sei bis auf den letzten Platz gefüllt gewesen.[18] Eine Zeitungsnotiz 1932 gibt die Zahl der Wallfahrer mit 5 bis 6000 an, die sich vorwiegend aus der nahen Umgebung in kleineren Prozessionen oder als Einzelwallfahrer nach Kallmuth auf den Weg machten, was bis bis heute stattfindet.
Auch wenn das Fest des Pfarrpatrons St. Georg noch in der Vorkriegszeit durch die Feier eines Levitenamtes (eine hl. Messe zelebriert von mehreren Priestern) hervorgehoben wurde, bleibt Kallmuth in der Erinnerung an diese Jahrzehnte ein Marienwallfahrtsort.
Im Eifer für St. Georg
Pfarrer Eugen Kranz, zwischen 1946 und 1953 Pfarrer in Kallmuth, war es, der nach mündlichem Bekunden der Zeitzeugen den Impuls für die Erneuerung der Georgsverehrung einleitete, aber sorgfältig darauf bedacht, die in den unmittelbaren Nachkriegsjahren intensive Verehrung der Maria Schmerzensmutter nicht zu schmälern. Bereits Anfang der 50-iger Jahre lassen sich Bestrebungen des Pastors nachweisen, dem Pfarrpatron wieder den ursprünglichen Stellenwert zu geben, lange bevor das Stichwort „St. Georgsritt“ in Kallmuth in aller Munde war.
Zwischen Februar 1951 und März 1952 handelten Kanzelverkündigungen[19] vier Mal vom „St. Georgs-Pfarrverein“. Über Gründung und Ziele des Vereins ist wenig bekannt. Dessen Förderung aber scheint dem Geistlichen ein besonderes Herzensanliegen gewesen zu sein, denn am 9. März 1952 hielt er sogar persönlich nacheinander Versammlungen ab in Bergheim und anschließend in Lorbach »über die Fortführung des St. Georg-Pfarrvereins«.
Viel Erfolg und
Resonanz scheint Pfarrer Kranz damals nicht erfahren zu haben, denn danach wird der Verein nicht mehr erwähnt, und nur wenige Kallmuther erinnern sich an ihn.
Es scheint, als ob irgendwann die aufkommende Idee, die Georgsverehrung mit einer Reiterprozession zu feiern, den Verein überflüssig gemacht habe.
Anlässe seines Eifers, an die man sich erinnert, mögen vielschichtig gewesen sein und eher auch in vordergründigen Anliegen zu suchen sein. Pfarrer Kranz selbst»…dass es heute noch möglich ist, ein ländliches Fest zu gestalten, das den ganzen Menschen erfasst und begeistert«[20] . Auch sah er im St. Georgsritt eine attraktive Konkurrenzveranstaltung zu den Arbeiter- und Gewerkschaftskundgebungen am „Tag der Arbeit“, da es für die Jugend besser sei, am Maifeiertag in Kallmuth mit zu reiten, statt an den weltlichen Maifeiern in Mechernich teilzunehmen.
Auf der Suche nach den Motiven des Pastors halte ich es aber auch für sinnvoll, das Augenmerk auf die Gestalt des hl. Georg und den zeitgeschichtlichen Hintergrund des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges zu lenken, als das kompromisslose und konsequente Bekenntnis zu christlichen Werten und Überzeugungen einen schrecklichen Blutzoll forderte. Genau zu der Zeit, als Pfarrer Kranz in Kallmuth wirkte, wurden neben vielen schrecklichen Geschehnissen nach und nach Namen der Märtyrer der Neuzeit bekannt. Damit erhielt der hl. Georg, Märtyrer und Glaubensheld vor 1600 Jahren, höchste Aktualität als moderner Heiliger und als Vorbild.
Die geniale Idee eines St. Georgsrittes brachte Pfarrer Kranz – möglicherweise von einem Urlaub – aus dem Süddeutschen mit nach Kallmuth. Seine Idee fiel auf fruchtbaren Boden und wurde sofort aufgegriffen, denn sie sprach die Pfarre und ihre Menschen in ihrer persönlichen Lebenswelt an und bewirkte – so die Zeitzeugen – eine hohe Identifikation in und mit der Gemeinde. Die Männer und Frauen, die den St. Georgsritt begeistert in die Tat umsetzten, waren in ihrer religiösen Einstellung durch das ländlich-bäuerliche Umfeld geprägt, obwohl viele Männer des Dorfes am Fuße des Bleiberges über Generationen hinweg ihren Lebensunterhalt im Bleibergwerk in Mechernich fanden. Sie verspürten die besondere Nähe zum Schutzpatron der Bauern und Pferde. 24 Arbeitspferde [21] standen um 1953 in den Ställen der meist kleinbäuerlichen Betriebe. Es war eine Kleinigkeit, die kräftigen Kaltblupferde für die Prozession umzusatteln. Die Überlegungen für Prozessionsweg und Ziel erübrigten sich im Grunde in Anbetracht der historischen Georgsprozessionen um 1666.
»Es soll in diesem Jahr versucht werden, das Georgsfest seiner Bedeutung entsprechend in einer feierlichen Weise mit Georgsritt, Feldgottesdienst und sakramentaler Prozession zu feiern.« beschloss der Kirchenvorstand am 29. März 1953 [22] , und zwei Wochen später verkündete Pfarrer Kranz: »Die öffentliche Feier des Georgsfestes wird…in diesem Jahr auf den 1. Mai verlegt« und »Am Abend soll sich die Pfarrfamilie zu einem Familienabend mit Maitanz im Saale de Bück [23] vereinigen«.
Welch ein Erfolg das Georgsfest 1953 mit dem ersten St. Georgsritt wurde! 60 Reiter und viele Prozessionsteilnehmer zu Fuß zogen singend und betend zur Wiese am Fuße des Lichtertberges, zum Georgspütz, und feierten dort mit Pfarrer Kranz die Feldmesse. Reiter und Fußpilger (etwa 1000) standen rund um den Altar, der auf der Deckplatte des Kallmuther Brunnenhauses errichtet war. Nach der Segnung der Reiter und ihrer Pferde zog die Prozession mit dem »hochsten gutt in der monstrans « wieder zur Kirche zurück. Resümee von Pfarrer Kranz: »Rückschauend darf man sagen, dass der Versuch zur Wiederbelebung des Kallmuther Georgsfestes gelungen ist.« [24]
Die Tragfähigkeit der Begeisterung wurde allerdings sehr schnell geprüft. Sechs Wochen nach dem ersten Georgsritt wurde Eugen Kranz zum Pfarrer in Krefeld - Fischeln ernannt. Bei
der Abschiedssitzung mit dem Kirchenvorstand am 5. Juli schrieb er sein St. Georgsritt-Vermächtnis ins Protokollbuch: »Bei dieser Gelegenheit wurde allgemein der Wunsch geäußert, es möchte protokollarisch festgelegt werden, dass die erstmalig im Jahre 1953 durchgeführte Form der Feier des St. Georgsfestes mit Georgsritt, Feldgottesdienst und sakramentaler Prozession der Pfarre auch in Zukunft erhalten bleiben soll.«
Die Idee hatte aber nach dem ersten Georgsritt bereits kräftige Wurzeln geschlagen,
50 Jahre Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne
Die gesellschaftlichen Umbrüche der zurückliegenden 50 Jahre und der immer raschere Wechsel der Ereignisse, das wirtschaftliche Auf und Ab, die wachsenden Einflüsse der Medien, die Veränderungen der ländlich-dörflichen Strukturen oder im religiösen Leben, im Freizeitbereich, all das hat erkennbare oder unsichtbare Spuren auch beim Georgsritt hinterlassen. Exemplarisch für all den Wandel gehe ich in einigen Punkten auf das äußere Bild der Prozession ein: [25]
1953 und die Jahre danach beherrschten die Kaltblutpferde das Bild der Prozession, diese ruhigen, geduldigen und starken Zugtiere in den bäuerlichen Betrieben. Sie waren für die Bauernfamilien von existenzieller Bedeutung, verständlich, dass man für sie den besonderen Segen des hl. Georg erbat. Eigens für den Georgsritt wurden sie besonders gestriegelt und ihre Hufe mit schwarzer Creme versehen. Als die kleinbäuerlichen Strukturen in den 60-igern ihren Niedergang erlebten, war der Bestand der Georgsprozession ernsthaft bedroht (1967 nur 35 Reiter) [26] . Die Entwicklung des Reitsports zum Volkssport beendete diese Sorgen [27] .
Die frühere Prozession zeigte durch die Kleidung der Reiter und durch das gleiche Aussehen der Reittiere ein geschlossenes Bild, aber auch durch eine strenge Prozessionsordnung. »Weißes Hemd und schwarze Hose und ohne Kopfbedeckung« [28] schrieb die Tradition bis in die 60-iger Jahre vor. Welch ein Wandel bis heute!
Eine aus heutiger Sicht eher fragwürdige Geschlossenheit ergab sich, weil die Reiterprozession Anfangs eine Domäne der Männer war, zurückzuführen wohl auf den täglichen Umgang mit den schweren Kaltblutpferden bei der Feld- und Waldarbeit. 1958 wurden zum ersten Mal Frauen als Georgsreiter gesehen.[29] Heute stellen die Frauen und Mädchen, die als Reiterinnen nach Kallmuth kommen, in guter Selbstverständlichkeit sicher die Hälfte der Teilnehmer, wenn nicht sogar mehr.
Das Profil der Prozessionen in den Anfangsjahren entstand aber im wesentlichen aus dem traditionellen Verständnis heraus, dass der St. Georgsritt den Charakter einer Bittprozession hatte. Betend und singend waren alle dabei, zu Fuß oder zu Pferd. Das „Gegrüßet seist du Maria“ im Rosenkranz, gebräuchliches Wechselgebet katholischer Prozessionen, wechselte mit Prozessionsmärschen, Marien- und Sakramentsliedern ab. Bekenntnis und religiöse Demonstration zugleich. Der Rückweg mit dem »hochsten gutt in der monstrans« glich eher einer Fronleichnamsprozession. Das Spalier zuschauender Gäste, die heute den Weg der Reiterprozession teilweise säumen, gab es noch nicht. Obwohl die strengere Prozessionsordnung früherer Jahre allein wegen der großen Zahl der Besucher nicht mehr zu halten ist, nehmen die meisten als Pilger und in persönlicher Andacht an Prozession und Messfeier teil, weil ihnen die religiösen Rituale noch vertraut sind, sie sich damit identifizieren und dazu bekennen. Nicht zu übersehen ist aber auch die Zahl der Besucher, die eher als Schaulustige dabei sind oder auf der Suche nach einem „Event“ nach Kallmuth kommen.
Traditionalisten bedauern die gesellschaftlich bedingten Wandlungen teilweise. Die große Mehrheit der Reitergäste, der Besucher ohne Pferd und auch der Menschen in der Pfarrgemeinde Kallmuth begrüßt die ständige Suche nach aufgeschlossenen Neuerungen. Die jeden
falls sind notwendig angesichts der vielen jährlichen Gäste in Kallmuth mit ihren individuellen Erwartungen und religiösen Biografien. »Damit aber die procession nit in undergang komme«, wird die Pfarre St. Georg die Gratwanderung mit Bedacht gehen zwischen folkloristischer Tendenz und Profilierung des St. Georgsrittes als Bittprozession - im Bekenntnis zu St. Georg als einem allzeit modernen Heiligen.
|